Die Hamilton-Jacobi-Gleichung 📜
German

Die Hamilton-Jacobi-Gleichung 📜

—

by

science
physics

Die Hamilton-Jacobi-Gleichung

H(q, ∂S/∂q, t) + ∂S/∂t = 0

In diesem Beitrag geht es weiter mit der Physik. Vor drei Monaten (!) habe ich das Thema der klassischen Mechanik mit einem Beitrag ĂŒber die hamiltonsche Mechanik (https://journaly.com/post/4656) vorĂŒbergehend abgeschlossen. Nun geht es gewissermaßen damit weiter. Herzlich willkommen!

Fangen wir mit einer wahren Geschichte an. Draußen regnet es gerade (wirklich, langsam nervt's), also ist eine kleine Anekdote an dieser Stelle gar nicht verkehrt.

Sir William Rowan Hamilton hatte mal einen Hund. Dieser Hund (ein eigensinniger Bichon) hatte die Neigung, sich stĂ€ndig im Kreis zu drehen, um in seinen Schwanz zu beißen. Böse Zungen behaupteten, Sir Hamilton sei der Einzige gewesen, der imstande war, dem Kreisen des sich ewig drehenden Hundes ein Ende zu bereiten. Hamilton zeigte dabei sein Können als Showstopper auf folgende Art und Weise: Er nahm seinen Spazierstock in die Hand (logisch), schaute den allmĂ€hlich schwindlig werdenden Hund mit traurigem Blick an und begann, den Stock zu drehen. Die Drehbewegung des Stocks entsprach der Bewegung des Hundes (langsam fange ich damit an, den Fachjargon der Physik in den Text einfließen zu lassen). Der Hund fixierte dann den interessanten Stock mit den Augen. Nun wechselte Hamilton die Drehrichtung (den Drehsinn) in regelmĂ€ĂŸig kĂŒrzer werdenden Zeitspannen. Der Stock und der Hund kamen damit gleichzeitig zur Ruhe. Am Ende kippte der Hund halb bewusstlos zur Seite.

Hamilton war nicht nur ein geĂŒbter HundeflĂŒsterer, sondern auch ein irischer Mathematiker und Physiker (der Hund war irre, das Herrchen Ire). Im Beitrag „die hamiltonsche Mechanik“ wurde die irre Leistung der außerirdisch aussehenden Hamilton-Gleichungen

dp/dt = - ∂H/∂q

dq/dt = + ∂H/∂p

nur sehr nĂŒchtern besprochen. Die Hamilton-Jacobi-Gleichung ist das Thema dieses Beitrags und baut auf den Hamilton-Gleichungen auf.

Achtung: An dieser Stelle setze ich voraus, dass der Leser den Inhalt des Beitrags „die hamiltonsche Mechanik“ verdaut hat und frisch in Erinnerung hĂ€lt. Möglicherweise (also ziemlich sicher) sollte der Leser den erwĂ€hnten Beitrag zuerst (erneut) lesen. Der genannte Beitrag ist zwar etwas trocken geschrieben, aber inhaltlich immer noch korrekt und hoffentlich lehrreich.

Hamilton hat irgendwann im 19. Jahrhundert die klassische Mechanik revolutioniert. Dabei hat er nicht nur eine wichtige Erkenntnis geliefert, sondern gleich zwei. Die erste wichtige „Sache“, welche den Namen Hamiltons trĂ€gt, sind die Hamilton-Gleichungen. Die zweite ist die Hamilton-Jacobi-Gleichung. Das sind aber nur Benennungen von irgendwelchen physikalischen Gleichungen (die er natĂŒrlich nicht selbst so genannt hat, Caro). Worum geht es ĂŒberhaupt? Und was ist der Unterschied zwischen der hamiltonschen Mechanik und der Hamilton-Jacobi-Gleichung? Oder anders gefragt: Was zum Teufel ist die Hamilton-Jacobi-Gleichung?

So viele Fragen ...

Die klassische Mechanik ist die physikalische Theorie schlechthin (das ist eine persönliche Meinung). Dass sie eine der Àltesten physikalischen Disziplinen ist, merkt man daran, dass es viele (alternative) Formulierungen derselben gibt (das ist eine Tatsache). Nun folgt eine kurze Zusammenfassung der Geschehnisse.

Zuerst hat Isaac Newton im 17. Jahrhundert den Startschuss (https://journaly.com/post/4366) zur klassischen Mechanik gegeben und die Schwerkraft (https://journaly.com/post/4412) in seinen Zugang zur Mechanik integriert. Die ursprĂŒngliche newtonsche Mechanik wurde von Newton selbst in einer altmodischen Notation verfasst (https://journaly.com/post/4330) und spĂ€ter von Euler und anderen Mathematikern und Physikern etwas modernisiert und verallgemeinert. Diese Modernisierung betraf jedoch nur die mathematische Darstellung der newtonschen Mechanik; die Verallgemeinerung diente dazu, nicht nur punktförmige Massen, sondern auch noch ausgedehnte Massenverteilungen wie starre Körper, elastische Körper und FlĂŒssigkeiten behandeln zu können. Solche Anpassungen und Erweiterungen haben den newtonschen Formalismus jedoch grundsĂ€tzlich nicht verĂ€ndert. Mit anderen Worten: Dabei wurde weiterhin der Begriff der „Kraft“ als grundlegend angesehen.

Im 18. Jahrhundert hat Joseph-Louis de Lagrange mithilfe der Variationsrechnung (https://journaly.com/post/4548) einen neuen Zugang zur klassischen Mechanik erschaffen (https://journaly.com/post/4565). In diesem Formalismus spielt die Kraft keine (wichtige) Rolle. Stattdessen wird die Physik eines (beliebigen) Systems mit der sogenannten Lagrange-Funktion beschrieben. Die Euler-Lagrange-Gleichungen sind dann die zu lösenden Differentialgleichungen. Weitere Details dazu gibt es im Text https://journaly.com/post/4565, der zugegebenermaßen keine leichte LektĂŒre ist.

Im 19. Jahrhundert kam Hamilton mit noch einer weiteren Formulierung der klassischen Mechanik um die Ecke. Die hamiltonsche Mechanik wurde – wie schon gesagt – im Text https://journaly.com/post/4656 beschrieben. Vom Wesen und mathematischen Apparat her ist die hamiltonsche Mechanik Ă€hnlich aufgebaut wie die lagrangesche Mechanik (beide bedienen sich der Variationsrechnung), liefert jedoch weitere wertvolle Begriffe, Einsichten und ZusammenhĂ€nge. Außerdem ist sie die BrĂŒcke zu den sogenannten kanonischen Transformationen und (damit auch) zur Hamilton-Jacobi-Gleichung. Die Hamilton-Jacobi-Gleichung ist im Rahmen der klassischen Mechanik gewissermaßen die Krone der Schöpfung. Deswegen habe ich gerade so viel Spaß daran, diesen Artikel zu schreiben und die nĂ€chsten zwei zu planen. Ich bin so aufgeregt đŸ€­.

Die Hamilton-Jacobi-Gleichung heißt so, weil Hamilton alleine nicht die ganze Arbeit gemacht hat. Hamilton selbst hat wohl eine vorlĂ€ufige Form dieses Ergebnisses gefunden (in Form von zwei Gleichungen, also komplizierter bzw. umstĂ€ndlicher als notwendig). Etwas spĂ€ter hat der deutsche Mathematiker Carl Gustav Jacob Jacobi (ich schreibe den vollen Namen nicht noch mal) den großen Wert der Arbeiten Hamiltons sofort erkannt und den letzten Feinschliff gegeben.

Okay, die improvisierte Geschichtsstunde ist um. Weiter geht's mit der Physik.

Die Hamilton-Jacobi-Gleichung ist eine Differentialgleichung fĂŒr die mathematische Funktion S(q, t) – die „Erzeugende“ –, welche die zeitliche Evolution eines physikalischen Systems enthĂ€lt bzw. beschreibt. Anders als bei den Euler-Lagrange- und den Hamilton-Gleichungen, gibt es hier eine einzige Gleichung, welche die gesamte Physik des Systems abbildet. In der lagrangeschen Mechanik gab es N Differentialgleichungen, in der hamiltonschen Mechanik sind es 2N Gleichungen und nun kodiert die Hamilton-Jacobi-Gleichung das alles innerhalb einer einzelnen Gleichung.

Dass es eine Gleichung ist, ist hier wichtig. Damit wird die Hamilton-Jacobi-Gleichung zu einem Differentialprinzip. Hamilton selbst hat als Ausgangspunkt seines Zugangs zur Mechanik ein Integralprinzip formuliert und verwendet. Heutzutage kennen wir dieses Prinzip als „hamiltonsches Prinzip“ (mehr Informationen dazu gibt es im Text ĂŒber die lagrangesche Mechanik: https://journaly.com/post/4565). Das hamiltonsche Prinzip ist ein Integralprinzip und besagt (zur Erinnerung) Folgendes:

Die zeitliche Evolution eines physikalischen Systems ist diejenige mit der stationÀren Wirkung.

Diese Aussage ist „global“. Außerdem ist sie keine mathematische Formel oder Gleichung, sondern ein physikalisches Prinzip. Die Hamilton-Jacobi-Gleichung ist eine Lösung dieses mathematischen Problems und hat gleichzeitig die Form eines „lokalen“ physikalischen Prinzips. Die Hamilton-Jacobi-Gleichung und das hamiltonsche Prinzip sind also zueinander Ă€quivalent. Hier bedeutet „lokal“, dass dabei nur die Evolution des physikalischen Systems innerhalb einer kleinen Region wĂ€hrend einer kurzen Zeitspanne betrachtet wird.

Die Hamilton-Jacobi-Gleichung ist weiterhin von begrifflicher und physikalischer Bedeutung, weil sie die BrĂŒcke zu den beiden Themen bildet, welche ich in den nĂ€chsten Artikeln beschreiben werde.

Fortsetzung folgt.

0