Die hamiltonsche Mechanik 🧑‍🔧
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Die hamiltonsche Mechanik 🧑‍🔧

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physics

In diesem Beitrag geht es um die zweite moderne Formulierung der klassischen Mechanik.

Die hamiltonsche Mechanik wurde von William Rowan Hamilton, einem irischen Mathematiker und Physiker, im Jahr 1834 veröffentlicht. Hamilton hat als Ausgangspunkt seiner Formulierung die lagrangesche Mechanik genommen. Aus diesem Grund wurde in einem früheren Beitrag der (misslungene) Versuch unternommen, die lagrangesche Mechanik zuerst zu besprechen.

Der hamiltonsche Zugang zur Mechanik ist mathematisch anspruchsvoll. Die Ideen hinter der Mathematik sind außerdem abstrakt. Ich werde mein Bestes tun, um diese abstrakten Ideen anschaulich zu vermitteln.

Es geht jetzt los.

Hamilton hat mit einer sogenannten „Legendre-Transformation“ die „Lagrange-Funktion“ zu einer anderen mathematischen Funktion geändert. Diese Funktion wurde später nach ihm genannt und heißt entsprechend die „Hamilton-Funktion“. Dies ist nur mathematisches Gequatsche um zu sagen, dass Hamilton etwas gefunden hat, was in gewisser Weise „einfacher“ war als zuvor.

Einfacher in welchem Sinne?

Die Lagrange-Funktion ist eine Funktion der N generalisierten Koordinaten und der N generalisierten Geschwindigkeiten (d. h. der zeitlichen Ableitungen der generalisierten Koordinaten). Mit anderen Worten: Die Lagrange-Funktion hat 2N unabhängige Variablen. Hier ist N die Anzahl der Freiheitsgrade eines physikalischen Systems.

Die Lagrange-Funktion erfüllt die N Euler-Lagrange-Gleichungen, welche zu lösen sind, um die zeitliche Evolution des physikalischen Systems bestimmen zu können. Es gibt eine Gleichung pro Freiheitsgrad. Die Lösung des physikalischen Problems besteht also darin, insgesamt N Differentialgleichungen zweiter Ordnung zu lösen. Hier ist der Zusatz „zweiter Ordnung“ das Wichtigste an der Sache. Das bedeutet wiederum, dass diese Gleichungen gewissermaßen „schwierig“ zu lösen sind. Mathematische Differentialgleichungen erster Ordnung sind (wie der Name vielleicht vermuten lässt) im Allgemeinen einfacher zu lösen.

Das große Verdienst von Hamilton war es, ein System aus 2N Differentialgleichungen erster Ordnung zu finden, welche dasselbe physikalische System wie bei der lagrangeschen Mechanik beschreiben. Er hat also einen Weg gefunden, um doppelt so viele Gleichungen zu bekommen, die allerdings einfacher zu lösen sind als bei Lagrange. Das „physikalische Problem“ ist also gewissermaßen größer geworden, dafür aber auch einfacher zu lösen. Das ist im Grunde die Hauptidee hinter der Abstraktion im Hamilton-Formalismus.

Noch eine Idee hat mit der Form der Gleichungen zu tun. Die Differentialgleichungen im hamiltonschen Zugang heißen (weniger überraschend) „Hamilton-Gleichungen“. Im Gegensatz zur lagrangeschen Formulierung der Mechanik sind die 2N hamiltonschen Gleichungen nicht alle „gleich“. Bei Lagrange konnte man die Euler-Lagrange-Gleichung einfach aufschreiben und fertig. Bei Hamilton gibt es grundsätzlich zwei verschiedene Differentialgleichungen pro Freiheitsgrad. Mit anderen Worten: Es gibt eine Art „Kopplung“ zwischen zwei Gleichungen für jeden Freiheitsgrad des physikalischen Systems. Beide Gleichungen sind mehr oder weniger untereinander symmetrisch, mit dem Unterschied, dass eine Gleichung einen Vorzeichenwechsel hat. Hier sind sie:

dp/dt = - ∂H/∂q

dq/dt = + ∂H/∂p

Ich habe diese Gleichungen nur geschrieben, um auf begrifflicher Ebene Folgendes dazu sagen zu können: Die Hamilton-Funktion „H“ ist eine Funktion der generalisierten Koordinaten „q“ und der sogenannten generalisierten Impulse „p“. Die Hamilton-Funktion erfüllt nicht eine Sorte von Differentialgleichung, sondern zwei. Darüber hinaus sind die zwei Gleichungen fast symmetrisch in den Zeichen (Variablen) „p“ und „q“. Es gibt lediglich einen Vorzeichenwechsel auf der rechten Seite. Noch etwas, was man an den Gleichungen direkt sehen kann, ist, dass die linke Seite eine Zeitableitung enthält. Mit anderen Worten: Die linke Seite der Gleichungen ist immer die zeitliche Evolution (d. h. die Änderung) einer physikalischen Größe. Im konkreten Fall von kartesischen Koordinaten ist dp/dt die Kraft im newtonschen Zugang zur Mechanik und dq/dt die Geschwindigkeit. Im Allgemeinen jedoch sind sie abstrakte Begriffe.

Die mathematische Form der Hamilton-Gleichungen hat auch eine Art von Anschaulichkeit, die ich als Abschluss dieses Themas kurz ansprechen möchte. Hierbei ist die Rede vom sogenannten „Phasenraum“.

Der Phasenraum ist ein mathematischer Raum mit 2N Dimensionen. Die generalisierten Koordinaten („q“) und die generalisierten Impulse („p“) bilden einen Punkt im Phasenraum. Ein anschauliches Beispiel dafür ist die Bewegung eines Pendels: Der Winkel und dessen Winkelgeschwindigkeit können als mathematischer Punkt auf der zweidimensionalen Ebene aufgefasst werden. Die physikalische Bewegung des Pendels entspricht einer bestimmten Bewegung des mathematischen Punktes auf der Ebene. Beim konkreten Fall des Pendels folgt der Punkt im Phasenraum einer kreisförmigen Bewegung. Die wichtige Idee ist hier nur, dass die Evolution eines physikalischen Systems abstrakt verstanden wird als Bewegung eines mathematischen Punktes im entsprechenden Phasenraum.

Der Phasenraum ist nicht nur da, um Physikstudenten zu verschrecken, sondern er hat tatsächlich konkrete Vorteile (die ich hier nicht bespreche) und bietet weitere Einsichten in die Mechanik. Zum Beispiel – und damit ist das Thema hier durch – kann die physikalische Evolution aller möglichen Konfigurationen als eine Art Flüssigkeit im Phasenraum abgebildet werden. Etwas anschaulicher vielleicht: Die konkrete Lösung eines physikalischen Problems hängt von seinem Anfangszustand ab. Je nach Anfangszustand (z. B. die Anfangsposition eines fallenden Steines und dessen Anfangsgeschwindigkeit) sieht die konkrete Bewegung bzw. Evolution anders aus. Ein Vorteil des Phasenraumes ist, dass man die Gesamtheit aller möglichen Lösungen als die Bewegung einer (idealen) Flüssigkeit abbilden kann.

Ende.

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