Entwurf einer Kurzgeschichte (4)
German

Entwurf einer Kurzgeschichte (4)

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fiction

Flott radelt Lena am Zytglogge vorbei Richtung Kornhausbrücke. Sie fährt ein Dienstvelo. Lieber wäre ihr das eigene gewesen, aber es steht zu Hause in Ostermundigen mit einem Platten. Da sie die Panne erst heute Morgen entdeckt hatte, musste sie kurzfristig improvisieren und ist stattdessen mit dem Tram zur Arbeit gefahren. Heute Abend steht also Flicken auf dem Programm.

Aber zuerst kommt das Nachmittagsprogramm mit ihrem Bruder. Was haben sie denn überhaupt vor? Wo wollen sie in Ruhe über seine Probleme sprechen? In der Tat vermutet sie, dass es sich weniger um die Flüchtlinge handelt, als um einen akuten Fall von Solastalgie, jenem Gefühl des Verlust und der Trauer, das typischerweise durch Klimakatastrophen ausgelöst oder verschärft wird. Die Ereignisse des Tages haben zweifelsohne das Zeug dazu. Sie denkt spontan an den Schermendom, dort sollte zur Nachmittagszeit nicht viel los sein und es wäre zudem noch angenehm kühl.

Bei der Durchfahrt des Breitenrainquartiers muss sie recht auf den Verkehr aufpassen, denn sie ist just in die Mittagsrushhour geraten: zig Leute, die nur halbtags arbeiten, fahren jetzt mit ihrem Velo zur Arbeit oder nach Hause. Zum Glück gibt es nur wenige, die das Auto genommen haben, sonst wäre das Chaos perfekt.

Als sie an der Ampel beim Guisanplatz warten muss, fährt eben ein Konvoi von fünf Diesel-Lkw des Militärs, behelfsmässig mit auf A3-Blättern gedruckten Rotkreuz-Emblemen versehen, an ihr vorbei. Sie muss schmunzeln. Solche Lkw haben mittlerweile Seltenheitscharakter erlangt. Während der Grossen Transformation in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre, wurden nämlich sämtliche Verbrenner-Fahrzeuge schrittweise ausgemerzt. Nur die Armee wurde von dieser Regelung ausgenommen. Ihre Mutter, hat damals mit einem lachenden und einem weinenden Auge ihren neuen E-Lkw in Empfang genommen. Der Abschied vom alten Verbrenner fiel ihr nicht leicht, aber sie hat schnell die Vorteile des “neuen Biests” schätzen gelernt.

Das Areal um die PostFinance Arena ist weitläufig, aber wenn sich die Familie Tadic dort trifft, meistens um zu einem Eishockeymatch des SCB zu gehen, dann tut sie dies immer an der gleichen Stelle. Dort sieht Lena Luca neben seinem Velo stehen, eine Tasche umgehängt. Sie steigt ab und sie begrüssen sich mit einer Umarmung.

“Zeig mal, was hast du da in deiner Tasche?” fragt Lena neugierig.

Luca öffnet sie, ohne ein Wort zu sagen und zeigt ihr das Kissen.

“Oh, dein Corona-Knuddel!”

“Was, du wusstest davon?”

“Ja klar! Du lagst damals so oft auf dem Bett, das konnte man nicht übersehen. Aber keine Sorge, ich habe es nicht weitererzählt, und du bleibst auch so mein Lieblingsbruder.”

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