Flott radelt Lena am Zytglogge vorbei Richtung Kornhausbrücke. Sie fährt ein Dienstvelo. Lieber wäre ihr das eigene gewesen, aber es steht zu Hause in Ostermundigen mit einem Platten. Da sie die Panne erst heute Morgen entdeckt hatte, musste sie kurzfristig improvisieren und ist stattdessen mit dem Tram zur Arbeit gefahren. Heute Abend steht also Flicken auf dem Programm.
Aber zuerst kommt das Nachmittagsprogramm mit ihrem Bruder. Was haben sie denn überhaupt vor? Wo wollen sie in Ruhe über seine Probleme sprechen? In der Tat vermutet sie, dass es sich weniger um die Flüchtlinge handelt, als um einen akuten Fall von Solastalgie, jenem Gefühl des Verlust und der Trauer, das typischerweise durch Klimakatastrophen ausgelöst oder verschärft wird. Die Ereignisse des Tages haben zweifelsohne das Zeug dazu. Sie denkt spontan an den Schermendom, dort sollte zur Nachmittagszeit nicht viel los sein und es wäre zudem noch angenehm kühl.
Bei der Durchfahrt des Breitenrainquartiers muss sie recht auf den Verkehr aufpassen, denn sie ist just in die Mittagsrushhour geraten: zig Leute, die nur halbtags arbeiten, fahren jetzt mit ihrem Velo zur Arbeit oder nach Hause. Zum Glück gibt es nur wenige, die das Auto genommen haben, sonst wäre das Chaos perfekt.
Als sie an der Ampel beim Guisanplatz warten muss, fährt eben ein Konvoi von fünf Diesel-Lkw des Militärs, behelfsmässig mit auf A3-Blättern gedruckten Rotkreuz-Emblemen versehen, an ihr vorbei. Sie muss schmunzeln. Solche Lkw haben mittlerweile Seltenheitscharakter erlangt. Während der Grossen Transformation in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre, wurden nämlich sämtliche Verbrenner-Fahrzeuge schrittweise ausgemerzt. Nur die Armee wurde von dieser Regelung ausgenommen. Ihre Mutter, hat damals mit einem lachenden und einem weinenden Auge ihren neuen E-Lkw in Empfang genommen. Der Abschied vom alten Verbrenner fiel ihr nicht leicht, aber sie hat schnell die Vorteile des “neuen Biests” schätzen gelernt.
Das Areal um die PostFinance Arena ist weitläufig, aber wenn sich die Familie Tadic dort trifft, meistens um zu einem Eishockeymatch des SCB zu gehen, dann tut sie dies immer an der gleichen Stelle. Dort sieht Lena Luca neben seinem Velo stehen, eine Tasche umgehängt. Sie steigt ab und sie begrüssen sich mit einer Umarmung.
“Zeig mal, was hast du da in deiner Tasche?” fragt Lena neugierig.
Luca öffnet sie, ohne ein Wort zu sagen und zeigt ihr das Kissen.
“Oh, dein Corona-Knuddel!”
“Was, du wusstest davon?”
“Ja klar! Du lagst damals so oft auf dem Bett, das konnte man nicht übersehen. Aber keine Sorge, ich habe es nicht weitererzählt, und du bleibst auch so mein Lieblingsbruder.”
@Malle, vielen Dank für deine Korrekturen. Ich werde die eine oder andere Anpassung noch vornehmen. Kleine Bemerkung: da es sich um einen Schweizer Text handelt, sind Wörter wie Velo statt Rad und die Schreibweise "ss" statt "ß" voll in Ordnung :)
@Erich: habe gerade gesehen, dass es seit Neuestem auch "Swiss German" als Sprache hier auf Journaly gibt 😊 ich war mal so frei mich selbst als "Advanced" einzustufen 😅 Dank deiner Texte habe ich sehr viel gelernt 👍
Ou schön, ha gar nid gseh, dass es sogar d'Sprach Schwyzerdütsch git. Mersi viu mau, Linda, dass mi druf ufmerksam gmacht hesch. :)
Schreibt man so tatsächlich auf Schwyzerdütsch? Dann muss ich die Einstufung meines Niveaus nochmal überdenken 😂
Also ich kann alles verstehen, wenn ich es lese, aber schreiben könnte ich es nicht 😅
Ja, das schreibt man tatsächlich so. Aber jeder schreibt ein bisschen anders, da es keinen "Duden" gibt, man schreibt einfach wie einem der Schnabel gewachsen ist. Zum üben kann ich dir die alemannische Wikipedia empfehlen: https://als.wikipedia.org/wiki/Portal:Schwiiz . Wenn ein Schweizer über die Grenze verstanden werden will, schreibt er "Schweizer Hochdeutsch". Im Fernsehen gibt es Sendungen auf Hochdeutsch wie die Tagesschau (https://www.srf.ch/play/tv/sendung/tagesschau?id=ff969c14-c5a7-44ab-ab72-14d4c9e427a9), und auf Schweizerdeutsch, wie "Schweiz Aktuell": (https://www.srf.ch/sendungen/schweiz-aktuell/). Viel Spass!