Odradek
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Odradek

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Jeder, der sich schon mal sein eigenes Profil oder das eines anderen Journaly-Nutzers angeschaut hat, wird festgestellt haben, dass es verschiedene Abzeichen für verschiedene Errungenschaften gibt. So gibt es zum Beispiel ein Abzeichen für 10 und 100 geschriebene Beiträge, für Alpha- und Beta-Nutzer oder auch für Personen, die beim Schreiben des Codes mitgewirkt haben.

Darüber hinaus gibt es noch zwei weitere Abzeichen, die weniger Sinn zu ergeben scheinen. Zum einen ist es der Necromancer, was auf Deutsch Totenbeschwörer oder Geisterbeschwörer heißt. Schaut man in den Code (was Eduard dankenswerterweise für uns erledigt hat), erfährt man, dass man dieses Abzeichen erhält, wenn man einen Beitrag kommentiert hat, der älter als eine Woche ist.

Ein weiteres ominöses Abzeichen nennt sich Odradek. Wenn man mit der Maus über das Abzeichen fährt, erfährt man, dass man das Abzeichen erhalten hat, weil man etwas getan hat, das keine sichtbare Funktion hat. Schaut man auch hier wieder in den Code (danke Eduard!) wird klar, dass man einen seiner Beiträge gespeichert hat, ohne tatsächlich etwas bearbeitet zu haben.

Soweit so gut, aber was ist denn nun ein Odradek?

Da ich genauso wenig wusste, was das sein soll, habe ich mal die Suchmaschine meines Vertrauens befragt. Dann bin ich auf Wikipedia gelandet und habe erfahren, dass Odradek eine Figur aus der Feder Kafkas ist.

Odradek ist eine rätselhafte und vieldeutige, am Anfang dingartige, im weiteren Verlauf jungenhafte Gestalt aus Franz Kafkas Prosatext Die Sorge des Hausvaters aus der Erzählungssammlung Ein Landarzt. Die Figur wird zumeist als Frage nach einem Sinn gedeutet, da die Auflösung seines Wirklichkeitsstatus und seines Sinns im Text unklar bleibt. Der Erzähler selbst bezeichnet das Wesen und den Sinn Odradeks ausdrücklich als unverständlich und widersprüchlich.

Ich dacht mir: „Das ist wahrlich kafkaesk!“

Da ich es aber genauer wissen wollte, habe ich mir kurzerhand die gesammelten Werke Kafkas für 1,99 € auf meinen Kindle geladen. Darin befand sich besagte Kurzgeschichte Die Sorge des Hausvaters, in der Odradek beschrieben wird.

Meines Wissens nach ist das Urheberrecht Kafkas bereits erloschen, da sein Tod († 1924) mehr als 75 Jahre zurück liegt. Daher möchte ich euch die Kurzgeschichte hier als Zitat anfügen:

Die Sorge des Hausvaters
Die einen sagen, das Wort Odradek stamme aus dem Slawischen und sie suchen auf Grund dessen die Bildung des Wortes nachzuweisen. Andere wieder meinen, es stamme aus dem Deutschen, vom Slawischen sei es nur beeinflußt*. Die Unsicherheit beider Deutungen aber läßt* wohl mit Recht darauf schließen, daß* keine zutrifft, zumal man auch mit keiner von ihnen einen Sinn des Wortes finden kann. Natürlich würde sich niemand mit solchen Studien beschäftigen, wenn es nicht wirklich ein Wesen gäbe, das Odradek heißt. Es sieht zunächst aus wie eine flache sternartige Zwirnspule, und tatsächlich scheint es auch mit Zwirn bezogen; allerdings dürften es nur abgerissene, alte, aneinander geknotete, aber auch ineinander verfitzte Zwirnstücke von verschiedenster Art und Farbe sein. Es ist aber nicht nur eine Spule, sondern aus der Mitte des Sternes kommt ein kleines Querstäbchen hervor und an dieses Stäbchen fügt sich dann im rechten Winkel noch eines. Mit Hilfe dieses letzteren Stäbchens auf der einen Seite, und einer der Ausstrahlungen des Sternes auf der anderen Seite, kann das Ganze wie auf zwei Beinen aufrecht stehen. Man wäre versucht zu glauben, dieses Gebilde hätte früher irgendeine zweckmäßige Form gehabt und jetzt sei es nur zerbrochen. Dies scheint aber nicht der Fall zu sein; wenigstens findet sich kein Anzeichen dafür; nirgends sind Ansätze oder Bruchstellen zu sehen, die auf etwas Derartiges hinweisen würden; das Ganze erscheint zwar sinnlos, aber in seiner Art abgeschlossen. Näheres läßt* sich übrigens nicht darüber sagen, da Odradek außerordentlich beweglich und nicht zu fangen ist. Er hält sich abwechselnd auf dem Dachboden, im Treppenhaus, auf den Gängen, im Flur auf. Manchmal ist er monatelang nicht zu sehen; da ist er wohl in andere Häuser übersiedelt; doch kehrt er dann unweigerlich wieder in unser Haus zurück. Manchmal, wenn man aus der Tür tritt und er lehnt gerade unten am Treppengeländer, hat man Lust, ihn anzusprechen. Natürlich stellt man an ihn keine schwierigen Fragen, sondern behandelt ihn – schon seine Winzigkeit verführt dazu – wie ein Kind. „Wie heißt du denn?“ fragt man ihn. „Odradek“, sagt er. „Und wo wohnst du?“ „Unbestimmter Wohnsitz“, sagt er und lacht; es ist aber nur ein Lachen, wie man es ohne Lungen hervorbringen kann. Es klingt etwa so, wie das Rascheln in gefallenen Blättern. Damit ist die Unterhaltung meist zu Ende. Übrigens sind selbst diese Antworten nicht immer zu erhalten; oft ist er lange stumm, wie das Holz, das er zu sein scheint. Vergeblich frage ich mich, was mit ihm geschehen wird. Kann er denn sterben? Alles, was stirbt, hat vorher eine Art Ziel, eine Art Tätigkeit gehabt und daran hat es sich zerrieben; das trifft bei Odradek nicht zu. Sollte er also einstmals etwa noch vor den Füßen meiner Kinder und Kindeskinder mit nachschleifendem Zwirnsfaden die Treppe hinunterkollern? Er schadet ja offenbar niemandem; aber die Vorstellung, daß* er mich auch noch überleben sollte, ist mir eine fast schmerzliche.

Die mit * markierten Wörter sind nach der alten Rechtschreibung mit ß geschrieben, werden heutzutage aber mit ss geschrieben.

Was denkt ihr über Odradek?

\\ Quellen

  • Kafka, Franz. Sämtliche Werke (Der Prozess, Das Schloss, Der Verschollene, Die Verwandlung, In der Strafkolonie, Das Urteil, Erstes Leid, Ein Landarzt...) (German Edition) (S. 172). Pandora's Box. Kindle-Version.

Update 20.03.2023

Gestern hat Robin neue Abzeichen und neue Designs vorgestellt.

Seitdem sieht das Odradek-Abzeichen so aus:

Wer von euch hat das Abzeichen bereits erhalten?

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