Schwarze Löcher
German

Schwarze Löcher

by

science
physics
adventure
mystery
nature

Schwarze Löcher

Um mein einjähriges Journaly-Jubiläum zu feiern, möchte ich einen besonderen Text schreiben. Willkommen!

Bevor ihr alle denkt, das hier entpuppt sich gleich als herzzerreißende Geschichte voller unerwarteter Wendungen, muss ich rechtzeitig Entwarnung geben: Nein, meine liebe Leserschaft, es geht hierbei schon wieder um Physik. Ihr solltet mich so langsam kennen 😅. Das von mir gewählte heutige Thema ist aber ein physikalisches Thema etwas anderer Art. Es geht nämlich um etwas Cooles und Geheimnisvolles.

Es geht um schwarze Löcher.

Schwarze was für Dinge?

Schwarze Löcher.

Fangen wir mit einer Definition an:

Ein schwarzes Loch ist eine Region der Raumzeit mit einer derart starken Raumzeitkrümmung, dass rein gar nichts (nicht einmal das Licht) diese Region verlassen kann.

Hä?

Okay. Fangen wir nochmal an, diesmal Schritt für Schritt.

Die ersten Vorstellungen (damals kaum noch mehr als gedankliche Spinnereien) eines schwarzen Lochs entstanden im 18. Jahrhundert. Pierre-Simon Laplace stellte sich folgende Frage, welche ich freundlicherweise ins Deutsche übersetze: Was passiert, wenn ein kugelförmiges astronomisches Objekt einen so kleinen Radius hat, dass alle Körper auf der Oberfläche in diesem Objekt gefangen werden? Oder mit anderen Worten: Kann ein astronomisches Objekt sogar das Licht fangen?

Um diese physikalische Situation hoffentlich noch besser zu verstehen, machen wir ein Gedankenexperiment: Wir sind Menschen, die auf der Erdoberfläche einen Spaziergang machen (so weit, so gut, nehme ich an, aber jetzt wird's schräger, also bitte aufpassen). Irgendwo sehen wir einen schönen runden Stein, nehmen ihn und werfen ihn mit einer bestimmten Anfangsgeschwindigkeit und Anfangswinkel. Das ist nur die etwas mathematische Manier zu sagen, dass wir den Stein einfach irgendwie werfen.

Wir erwarten, dass der Stein parabelförmig fällt und wieder auf die Erdoberfläche trifft. Das ist nun mal, was die Schwerkraft der Erde verursacht. Sachen fallen.

Das Gedankenexperiment wird richtig abgefahren, wenn man sich vorstellt, dass wir imstande sind, den Stein mit einer Anfangsgeschwindigkeit von ungefähr 11 Kilometer pro Sekunde (ja, pro Sekunde!) werfen können. Außerdem ist bei solchen Gedankenexperimenten immer die Vereinfachung zu treffen, es gäbe keinen Luftwiderstand und so. Falls der Stein also eine Anfangsgeschwindigkeit von mindestens 11 Kilometer pro Sekunde hätte, würde er niemals zurückkommen und die Erdoberfläche treffen.

Was wird er dann machen?

Nun, der runde und glänzende Stein wird uns leider für immer verlassen. Um diesen traurigen physikalischen Verlust einigermaßen zu kompensieren, werden wir mit einer wertvollen Erkenntnis belohnt: Wir haben den Begriff der Fluchtgeschwindigkeit entdeckt. Die Fluchtgeschwindigkeit ist die Mindestgeschwindigkeit eines Körpers, um der Gravitation eines anderen Körpers zu entkommen. Erst bei dieser Geschwindigkeit ist die Bahn des Steins eine offene Kurve und keine Umlaufbahn.

Die Fluchtgeschwindigkeit eines Körpers hängt mit der Masse und dem Oberflächenradius des zu verlassenden Objektes zusammen. Je massiver das Objekt, desto schwieriger wird es sein, es zu verlassen (die Anfangsgeschwindigkeit ist also größer).

Das Gedankenexperiment wird etwas schräger, wenn man mit dem Radius eines astronomischen Objektes spielt. Wir lassen die Masse so, wie sie ist, ändern aber (in Gedanken) den Radius. Je kleiner der Radius, desto größer wird die Fluchtgeschwindigkeit sein, das ist intuitiv verständlich. Aber was passiert, wenn der Radius so richtig klein wird? Gibt es vielleicht einen dermaßen kleinen Radius, dass kein Körper das astronomische Objekt verlassen kann?

Die Antwort ist: Ja. Das sind die schwarzen Löcher.

Im Falle der Erde müsste sie einen Radius von weniger als einen Zentimeter haben, um zu einem schwarzen Loch zu werden. In solch einer extremen Situation wäre kein physikalischer Körper imstande, die Erdoberfläche zu verlassen. Nicht einmal das Licht könnte der Gravitation der Erde entkommen, was den Namen der schwarzen Löcher halbwegs erklärt. Schwarze Löcher sind keine Löcher, aber sie sind schwarz, weil man sie einfach nicht sehen kann.

Man kann zwar das schwarze Loch an sich nicht beobachten, aber sehr wohl seine Umgebung. Im Jahr 2017 wurde das erste Bild eines schwarzen Lochs aufgenommen.

In diesem Fall handelt es sich um ein supermassereiches schwarzes Loch im Zentrum des aktiven Galaxienkerns der Riesengalaxie M87. Diese Galaxie ist ungefähr 55 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt. Die geschätzte Masse des schwarzen Lochs beträgt sage und schreibe 6 Milliarden Sonnenmassen. Das schwarze Loch ist umgeben von Materie, welche die sogenannte Akkretionsscheibe um das schwarze Loch formt. Diese Scheibe rotiert um das schwarze Loch und "füttert" es mit neuer Materie. Die Akkretionsscheibe besteht aus einem stark ionisierten Gas, welches aufgrund der starken Gravitation und der damit verbundenen Reibung sehr heiß wird und verschiedene Strahlungsarten abstrahlt. Ein solcher Strahlungsprozess ist der sogenannte Jet des aktiven Galaxienkerns, welcher selbst im Gesamtbild der Galaxie M87 zu erkennen ist.

Noch ein supermassereiches schwarzes Loch ist das im Zentrum unserer Galaxis, der Milchstraße. Dieses schwarze Loch hat den Namen Sagittarius A* (Sgr A*), weil es aus Sicht der Erdoberfläche im Sternbild Schütze lokalisiert ist. Das Zentrum der Galaxis ist ungefähr 27.000 Lichtjahre von der Sonne entfernt.

Sagittarius A* ist eine Quelle von Radiowellen und von Röntgenstrahlung. Diese Radioquelle kann z. B. mit einem Radioteleskop untersucht werden. Noch besser als ein einzelnes Radioteleskop ist die Zusammenschaltung mehrerer Radioteleskope. Ein solches Instrument ist das Very Large Telescope (VLT) in Chile, bestehend aus vier Hauptteleskopen und einem Interferometer (GRAVITY).

Die astronomische Interferometrie mit dem VLTI (VLT + GRAVITY) hat im Jahr 2021 deutlich präzisere Beobachtungen des Zentrums der Milchstraße geliefert. In der Umgebung des schwarzen Lochs gibt es Sterne, welche gravitativ gebunden sind. Statt Planeten zu haben, welche einen Stern umkreisen, haben wir hier Sterne, welche ein verdammt großes schwarzes Loch umlaufen. Die Umlaufbahnen der einzelnen Sterne S29 und S55 um das schwarze Loch Sgr A* wurden im Laufe von mehreren Monaten gemessen und sozusagen fotografiert.

Es gibt eine andere Sorte von schwarzen Löchern als die Riesendinger in einem galaktischen Zentrum: die schwarzen Löcher stellaren Ursprungs. Je nachdem, wie massereich ein Stern zum Zeitpunkt seiner Entstehung ist, wird er (wenn der Stern keine Kernfusion mehr aufrechterhalten kann) in einem schwarzen Loch enden oder nicht. Kleinere Sterne wie unsere Sonne werden am Ende ihres Lebens zu sogenannten weißen Zwergen. Deutlich größere Sterne explodieren irgendwann in einer Supernova und der übriggebliebene Rest kollabiert (je nachdem, wie viel Masse nach der Supernova übrig bleibt) zu einem Neutronenstern oder zu einem schwarzen Loch.

Im September 2015 wurden zum ersten Mal Gravitationswellen beobachtet. Die Gravitationswellen sind eine Vorhersage der allgemeinen Relativitätstheorie Albert Einsteins. Die Grundidee dieser Theorie ist, dass die Schwere keine Kraft im Sinne Isaac Newtons ist, sondern ein geometrischer Effekt: Die Krümmung der Raumzeit aufgrund einer Masse- und Energieverteilung. Die Grundzüge der allgemeinen Relativitätstheorie wurden vom amerikanischen Physiker John Wheeler sehr prägnant in einem einzelnen Satz formuliert:

Space-time tells matter how to move; matter tells space-time how to curve.

Wenn zwei schwarze Löcher verschmelzen (ja, das machen sie manchmal, die Idioten), wird ein Teil der Energie in Form von Gravitationswellen abgestrahlt. Eine Gravitationswelle ist sozusagen eine Welle in der Raumzeit, welche durch die Beschleunigung der beiden umeinander kreisenden Körper verursacht wird.

Die erste Beobachtung der Gravitationswellen geschah mit dem LIGO (Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory), einem riesigen Interferometer, welcher genau zu diesem Zweck gebaut wurde. Die Entdeckung der Gravitationswellen war ein wirklich großer Schritt vorwärts in der lebendigen Geschichte der Physik.

Schwarze Löcher sind also keine Spinnereien, sondern gehören zu den tiefsten Rätseln unseres Universums. Ich hoffe sehr, ich habe mit diesem Text einen sehr kleinen Einblick durch die astronomische Hintertür ermöglichen können.

9