Vor ein paar Wochen hörte ich ein Podcast-Interview mit der Schriftstellerin Helga Schubert. Letztes Jahr gewann sie den Ingeborg Bachmann-Preis. Jetzt erscheint ihr neuester Band von Kurzgeschichten, „Zum Aufstehen: ein Leben in Geschichten.“
Frau Schubert ist jetzt 81 Jahre alt und noch sehr aktiv und engagiert. In Bezug auf ihren Lebenslauf, erklärt sie, dass sie 1940 in Berlin geboren wurde— sie verbrachte also ihre ersten Jahre als ein Kriegskind. Sie wohnte in der DDR bis die Wiedervereinigung (als sie 49 Jahre alt war). Als Fürsprecherin für ein vereintes Deutschland wurde sie von einigen Mitgliedern des Runden Tisches als „revanchistisch“ denunziert. Für 24 Jahre war sie berufstätig als Psychologin an einer Uni-Klinik aber schrieb nebenbei Geschichten, Romane und Drehbücher. Später kündigte sie ihren Job und begann, Vollzeit zu schreiben. Ihr Mann war früher Professor für klinische Psychologie an der Humboldt Universität, aber gab seine Professur auf, um als Künstler (Maler) zu arbeiten. Leider erlitt er einen schweren Herzinfarkt vor ein paar Jahren und ist seitdem pflegebedürftig. Deswegen teilt Frau Schubert ihre Zeit und Energie heutzutage zwischen Schreiben und der Pflege ihres Mannes. Das Paar wohnt seit ein paar Jahren in ländlichen Mecklenburg.
1980 wurde Frau Schubert für den Bachmann-Preis nominiert aber dürfte daran nicht teilnehmen, weil die SED-Regierung ihr die Erlaubnis zur Teilnahme (im Westen) nicht erteilen wollte. Deswegen war es besonders bemerkenswert und rührend, dass sie vierzig Jahre später nicht nur als Finalistin gewählt, sondern als Preisträgerin gekrönt wurde.
Im Interview sprach sie unter anderem über ihren Zugang zum Schreiben. Das Schreiben ist für sie keine Möglichkeit, etwas Schwieriges loszuwerden, sondern Anlass ein Kunstwerk zu gestalten und ein bisschen Ordnung in die Welt zu bringen. Die Form und Struktur der Geschichten spielen eine besonders wichtige Rolle für sie. Mit relativ einfacher Sprache und unkomplizierte Sätze komponiert sie verdichtete Geschichten. Die aktuellen Geschichten werden aus der Perspektive einer weiblichen Ich-Erzählerin, die Vieles aber nicht alles mit der Autorin teilt. Frau Schubert beschreibt gern die Widersprüchlichkeiten von Menschen—z. B. wie sie gleichzeitig nachtragend und verzeihend, eitel und bescheiden, jähzornig und ausgeglichen, hasserfüllt und liebend, verletzend und verwundbar sein können. Alles, was man zuerst bei jemandem erlebt, sollte nicht für bare Münzen genommen werden, glaubt sie, und ihre Geschichte drehen oft um „Kippmomente“, wenn sich etwas Wahrhaftigeres, Tieferes oder Authentischeres von einem Menschen entpuppt. Die Unvorhersehbarkeit von Menschen fasziniert sie.
Als ältere Dame glaubt sie, dass sie mit schlimmen Dingen besser fertig werden kann. Sie ist in der Lage, findet sie, mehr zu integrieren oder auszuhalten. Das ist keine Resignation, betont sie, sondern Geduld, Weisheit und Toleranz.
Wenn sie ihr Leben als Schriftstellerin mit ihrer Tätigkeit als Psychologin vergleicht, findet sie die Kunst „leichter“, „fröhlicher“ und „heiterer“. Als Therapeutin musste sie immer „mit Haut und Haaren“ präsent sein, aber jetzt kann sie Pausen einlegen, wenn sie will. Sie muss nicht Sorgen von ungefähr 150 Patienten mit sich tragen, die auf Gedeih und Verderb auf sie angewiesen waren. Als Schriftstellerin genießt sie die Lust und das Privileg, sich hinzusetzen und mit Form, Rhythmus und der deutschen Sprache, etwas Schönes zu komponieren.
Titel: Interview mit Helga Schubert.
Oder: Helga Schubert im Interview
Vielen Dank, Maryana, Eduard und Linda.