Das fermatsche Prinzip 🧀
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Das fermatsche Prinzip 🧀

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physics

Im vorherigen Beitrag ging es um die Gesetze der geometrischen Optik. Dort wurden diese beiden Gesetze – das Reflexions- und das Brechungsgesetz – beschrieben, aber noch nicht begrĂŒndet. In diesem Beitrag werden wir beschreiben, wie ihre Herleitung aussieht. Es geht nun also darum, einen mathematischen Weg zu beschreiten, der imstande ist, die beiden bekannten Gesetze hervorzubringen.

Wir beginnen mit einer Zeitreise. Bereit? Dann los!

Willkommen im Frankreich des 17. Jahrhunderts. Es ist der 1. Januar 1662. Der Jurist Pierre de Fermat hat eine besondere SchwĂ€che fĂŒr Mathematik. Diesmal aber macht er einen kleinen Ausflug in die Welt der Physik. Gerade ist er damit beschĂ€ftigt, ĂŒber Optik nachzudenken. Konkret grĂŒbelt er ĂŒber die (auch) von RenĂ© Descartes beschriebenen Gesetze der geometrischen Optik. Fermat hat plötzlich eine ziemlich schrĂ€ge Idee: Was wĂ€re, wenn ...?

Was wÀre, wenn was?

Er macht eine kurze Rechnung. Hm ... witzig. Es scheint zu stimmen.

Was wÀre, wenn waaaas?!

Er macht noch eine Rechnung. Oh lĂ  lĂ ! Das stimmt auch noch. Er hat also recht. Wie kann das sein?

Womit hat er recht??!

Ein bisschen Geduld, wenn ich bitten darf.

Nach einem Kamillentee und einem Croissant schreibt er einen Brief an Cureau de la Chambre. Darin schreibt er (unter anderem) noch mit zitternder Hand den folgenden Satz:

Cury, mein Junge, ich hab gerade was ganz Dolles entdeckt, und zwar ...

Oh, sorry. Fermat spricht Französisch. Er beschreibt seine Idee (sein Prinzip) folgendermaßen:

La lumiÚre se propage d'un point à un autre sur des trajectoires telles que la durée du parcours soit localement minimale.

DarĂŒber hinaus sagt er als „BegrĂŒndung“ nur:

La nature agit toujours par les voies les plus courtes et les plus simples.

Laut Fermat breitet sich das Licht so aus, dass die dafĂŒr benötigte Zeit minimal wird. Licht breitet sich entlang des schnellsten Weges aus. Das ist bei der Ausbreitung durch ein homogenes Medium (bspw. Luft) natĂŒrlich so, aber Fermat behauptet auch, dass dasselbe fĂŒr die Reflektion und die Brechung gilt.

Das ist doch verrĂŒckt. Wie kann das Licht „wissen“, dass der Weg von einem Punkt zu einem (beliebig weit entfernten) anderen Punkt durch irgendein optisches Material am Ende der Reise der schnellste aller möglichen Wege ist? Oder in den Worten von eigenen Zeitgenossen Fermats:

Le principe que vous prenez pour fondement de votre dĂ©monstration, Ă  savoir que la nature agit toujours par les voies les plus courtes et les plus simples, n’est qu’un principe moral et non point physique, qui n’est point et qui ne peut ĂȘtre la cause d’aucun effet de la nature.

Normalerweise werden die Gesetze der Physik als lokale Aussagen formuliert. Zum Beispiel wird nach Isaac Newton (der etwas spÀter im Jahrhundert um die Ecke kommen wird) die Beschleunigung eines Körpers als lokale (rÀumlich begrenzte) Einwirkung einer Kraft verstanden. Die Kraft greift genau an dem einen Punkt und verursacht die Beschleunigung. Die mathematische Gestalt solcher Aussagen sind die sogenannten Differentialgleichungen, welche eben lokale Ursachen mit den entsprechenden Wirkungen in einem (zu lösenden) mathematischen Ausdruck zusammenhalten. Das fermatsche Prinzip ist aber etwas anderes. Es ist keine lokale, sondern eine globale Aussage.

TatsĂ€chlich sind (mathematisch gesehen) beide physikalische Aussageformen zueinander Ă€quivalent. Das fermatsche Prinzip ist ein konkretes Beispiel fĂŒr die sogenannten „physikalischen Extremalprinzipien“. Die Mathematik dahinter heißt „Variationsrechnung“. Das fermatsche Prinzip ist also die globale Form eines damit Ă€quivalenten lokalen Ausdruckes. Welche der beiden Aussagen der „Grund“ und welche die „Konsequenz“ sein soll, ist dabei eine Interpretationsfrage.

Der lokale Ausdruck ist in diesem Fall die Gleichung fĂŒr die Bahn eines Lichtstrahles in einem beliebigen Medium (Luft, Wasser, Glas, ÜbergĂ€nge zwischen Medien, Medien mit einem kontinuierlich verĂ€nderlichen Brechungsindex, was auch immer). Die Variationsrechnung ist dabei die mathematische Maschinerie, um diese Gleichung aus dem fermatschen Prinzip herleiten zu können. Die mathematische BrĂŒcke zwischen den beiden Formeln ist noch eine Formel mit dem Namen „Euler-Lagrange-Gleichung“ (Frage: Wer hat sie entdeckt?).

FĂŒr die beiden konkreten FĂ€lle der Reflexion und Brechung ist nicht einmal die komplette Variationsrechnung nötig, um zu zeigen, dass die aus dem vorherigen Artikel bekannten Formeln aus dem fermatschen Prinzip entspringen. Dies ist auch mit der (etwas einfacheren) Differentialrechnung möglich. In diesem Text werde ich auf die Mathematik verzichten, die Idee hinter der Berechnung am Beispiel des Brechungsgesetzes dennoch beschreiben:

Wir fordern, dass bei der Brechung an einer GrenzflĂ€che zwischen zwei Medien das Licht vom Punkt A bis zum Punkt B geht. Beide Punkte befinden sich also in verschiedenen Medien (z. B. Luft und Wasser). Der Punkt, an dem die Brechung stattfindet (der „Lotfußpunkt“ im vorherigen Beitrag), werde mit P notiert. Es gibt also zwei geradlinige Strecken des Lichtstrahles: die Strecke AP (im ersten Medium) und die Strecke PB (im zweiten Medium). Die Summe der beiden zugehörigen Zeiten ist die Gesamtzeit, welche uns im fermatschen Prinzip interessiert. Die Gesamtzeit entlang der Lichtbahn zwischen A und B durch P muss also minimal sein. Diese Aussage kann man als zeitliche Ableitung der mathematischen Funktion, welche die Gesamtzeit in AbhĂ€ngigkeit mit dem horizontalen Abstand zwischen A und P angibt, darstellen. Anschaulich interpretiert: Die (gedanklich stattfindende) Verschiebung des Punktes P entlang der flachen GrenzflĂ€che liefert immer eine andere Gesamtzeit. Daraus ergibt sich eine konkrete Berechnung bzw. Gleichung, die direkt zum Brechungsgesetz fĂŒhrt. Die dabei auftretenden Sinusfunktionen ergeben sich als Ableitungen von BrĂŒchen, welche direkt mit den geometrischen AbstĂ€nden zwischen den Punkten A, P und B zu tun haben. Das Reflexionsgesetz kann auf Ă€hnlichem Wege hergeleitet werden.

Das fermatsche Prinzip ist also nicht nur ein ganz schrÀges Prinzip hinter der (meistens) geradlinigen Ausbreitung der Lichtstrahlen, sondern vereint auch noch die beiden grundlegenden Gesetze der geometrischen Optik. Beide Gesetze sind nach Fermat der Ausdruck eines dahinterliegenden Prinzips.

Aber was ist mit der Interpretation des fermatschen Prinzips an sich?

Erst die Pfadintegralformulierung der Quantenmechanik kann „erklĂ€ren“, warum es so ist. Die Grundidee dabei ist, dass sich der vom Lichtstrahl gefolgte Weg auf menschlicher Skala aus einer Art Überlagerung aller möglichen Pfade ergibt. Die Natur probiert sozusagen dabei alle möglichen Wege aus. Der Weg mit konstruktiver Interferenz ist der beobachtbare Weg in der klassischen Optik.

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