Symmetrien und Erhaltungssätze ☯
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Symmetrien und Erhaltungssätze ☯

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Die Mathematik hinter den Ideen dieses Beitrages ist ziemlich knallhart, also werde ich mich (wie gewohnt) auf eine sprachliche Formulierung der dabei auftretenden Ideen und Fakten beschränken. In den zwei vorherigen Beiträgen zur speziellen Relativitätstheorie war der Verzicht auf Mathematik noch vertretbar, ohne dabei die Physik zu vereinfachen (die physikalischen Einsichten wurden zwar nicht schlüssig hergeleitet, aber sie waren sehr wohl tatsachengetreu beschrieben). Nun ändert sich das, denn das ausgewählte Thema ist inhaltlich etwas abstrakter. Dennoch finde ich, dass es sich lohnt, selbst auf eine etwas schwammige Art und Weise darüber zu sprechen. Ich hoffe sehr, dass dieser Ausflug in die Welt der Symmetrien und Erhaltungssätze anregend wirkt.

Tolle Einleitung, was? Ich fange jetzt an.

In diesem Beitrag geht es vor allem um Beziehungen. Damit meine ich die Verbindungen zwischen physikalischen Begriffen von grundlegender Bedeutung wie „Raum“, „Zeit“, „Impuls“ (Masse mal Geschwindigkeit), „Energie“ und dergleichen. Die spezielle Relativitätstheorie vereint bzw. verbindet die Begriffe „Raum“ und „Zeit“ auf der einen Seite und „Impuls“ und „Energie“ auf der anderen. Nun geht es um weitere Verbindungen zwischen diesen Größen.

Dabei handelt es sich um eine neue Art von Verbindung oder Zusammenhang. Es geht nun nicht darum, zwei physikalische Begriffe in einem Einzelbegriff zusammenzufassen, sondern vielmehr geht es darum, die Begriffe so zu lassen, wie sie sind, und sie stattdessen miteinander kausal zu verknüpfen. Damit meine ich, dass es nun eine Ursache-Wirkung-Beziehung geben wird anstatt einer Aggregation zu einem Einzelbegriff. Etwas konkreter, aber ohne die Pointe direkt zu verraten: Die „Energie“ hat etwas mit der „Zeit“ zu tun, und der „Impuls“ etwas mit dem „Raum“.

Was ist es?

Um die Frage zufriedenstellend zu beantworten, muss zuerst erklärt werden, was unter einem „Erhaltungssatz“ verstanden wird. Wie der Name schon sagt, geht es dabei um die Erhaltung einer gewissen physikalischen Größe. Ein Erhaltungssatz ist also nichts Weiteres als die Aussage „Die physikalische Größe X [hier bitte etwas Schönes auswählen] bleibt erhalten“. Dabei muss auch angegeben werden, unter welchen Bedingungen bzw. für welches physikalische System ein Erhaltungssatz gilt. Fehlen diese zusätzlichen Informationen, so wird angenommen, dass der Erhaltungssatz universell gilt.

Im Laufe der Entwicklung der klassischen Physik zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert wurden genau drei Erhaltungssätze formuliert und experimentell nachgewiesen. Diese sind: (1) die Impulserhaltung, (2) die Drehimpulserhaltung und (3) die Energieerhaltung.

Die Impuls- und Energieerhaltung werden zum Beispiel sehr schön auf einem Air-Hockey-Tisch demonstriert. Aufgrund der dabei vernachlässigbaren Reibungsverluste (wozu sonst soll das ganze Gebläse gut sein?) kann das System – bestehend aus Puck und Tisch – als geschlossen betrachtet werden. Mit einem „geschlossenen System“ ist nur gemeint, dass der Rest des Universums (für die kurze Dauer der Effekte, also in erster Annäherung) keine Rolle spielt. Die Schwerkraft auf dem Puck wird von der sogenannten Normalkraft kompensiert, sodass insgesamt der Puck maßgebend kräftefrei ist. Die einzelnen Kräfte bzw. Gründe, warum der Puck seinen Bewegungszustand (seine Geschwindigkeit) ändert, sind die Schläge, welche die Spieler ihm verpassen und die Kollisionen mit den Banden. Die Kollisionen mit dem Tisch sind näherungsweise elastisch (die Geschwindigkeit bekommt eine andere Richtung, bleibt aber betragsmäßig gleich). Betrachtet man nun den Zusammenstoß zweier Pucks (so spielt man Air-Hockey zwar nicht, aber dies ist eine reine Physikübung!), kann man daran die Impuls- und Energieerhaltung qualitativ erkennen und quantitativ überprüfen. Unmittelbar vor dem Stoß haben die beiden Pucks zwei bestimmte Impulsvektoren, unmittelbar danach zwei andere (dies ist nur eine technische Manier zu sagen, dass sich die zwei Pucks vor und nach dem Zusammenprall jeweils anders bewegen). Die Summe aus den beiden Impulsvektoren vor und nach dem Stoß ist identisch. Dies ist die Impulserhaltung: Der Gesamtimpuls eines abgeschlossenen Systems bleibt für immer erhalten. Die Energieerhaltung ist prinzipiell dasselbe, mit dem einzigen Unterschied, dass die Energie eine skalare Größe ist (eine Zahl) und keine gerichtete Größe (ein Vektor). Die Gesamtenergie der beiden Pucks bleibt also auch erhalten.

Ein gutes Beispiel für die Drehimpulserhaltung ist die Pirouette einer Eiskunstläuferin. Zuerst muss aber überhaupt erwähnt werden, was der Drehimpuls denn genau ist. Der Drehimpuls ist eine physikalische Größe, welche die Massenverteilung eines Körpers (den sogenannten Trägheitstensor) mit der Winkelgeschwindigkeit (wie schnell und um welche Achse sich der Körper dreht) kombiniert. Der Drehimpuls quantifiziert also nicht nur die Drehung an sich, sondern betrifft auch den konkreten dabei bewegten Körper. Die Drehimpulserhaltung ist dann nichts anderes als die Erhaltung des Gesamtdrehimpulses eines in sich geschlossenen Systems. Solange die Eiskunstläuferin keinen Schuh verliert (oder sich übergibt), kann sie für die Dauer des Pirouetteneffektes als geschlossenes System gelten, denn ihre Gesamtmasse bleibt ja dabei erhalten. Eine Pirouette besteht ja darin, bestimmte Figuren mit den Körperteilen zu bilden (das klingt irgendwie zu sehr nach Frankenstein). Durch die verschiedenen Figuren, oder besser formuliert, durch die unterschiedlichen Massenverteilungen, ändert sich gemäß der Drehimpulserhaltung die Drehgeschwindigkeit. Der dabei beobachtete Effekt ist also, dass sich die Eiskunstläuferin je nach Figur schneller oder langsamer dreht. Dabei gilt grundsätzlich: Je näher die Masse an der Drehachse liegt (senkrecht zum Eisboden), umso höher ist die Drehgeschwindigkeit. Für den Spezialfall einer konstanten Drehrichtung (die Orientierung der Drehachse könnte sich theoretisch ändern, wie z. B. im Falle der Bewegung eines Kreisels) ist nur der Abstand der Masse zur Drehachse von Bedeutung, und anstatt eines Trägheitstensors (einer dreidimensionalen Matrix) gibt es lediglich eine eindimensionale Größe (das sogenannte Trägheitsmoment), welche die Massenverteilung charakterisiert. Die Grundidee ist also, von den ganzen mathematischen Feinheiten abgesehen, dass durch eine Änderung in der Form eines Körpers sich eine Änderung dessen Drehgeschwindigkeit ergibt. Dabei gibt es jedoch stets eine erhaltene physikalische Größe, und das ist der Drehimpuls.

Jetzt tief einatmen. Und wieder ausatmen. Gut, weiter geht's.

Was hat all dies mit der am Anfang besprochenen, herrlich abstrakten Einsicht in die Verbindung zwischen Energie und Zeit bzw. Impuls und Raum zu tun?

Die Antwort ist: Das Noether-Theorem.

Emmy Noether war eine deutsche Mathematikerin, die das (später nach ihr benannte) Theorem 1918 veröffentlichte. Das Noether-Theorem sagt im Grunde aus, dass die Symmetrie eines physikalischen Systems eine Erhaltungsgröße als Konsequenz hat. Mit anderen Worten: Ist ein physikalisches System in gewisser Weise symmetrisch, gibt es daraus folgend eine (mathematisch konkret berechenbare) Erhaltungsgröße, welche die Symmetrie des Systems als quantitative Eigenschaft verkörpert. Dieses Ergebnis ist in gewisser Weise auch schon im sogenannten „Lagrange-Formalismus“ der klassichen Mechanik zu erkennen, wird jedoch in voller Stärke im Noether-Theorem ausgedrückt. Im Lagrange-Formalismus zur Mechanik gibt es die sogenannten „konjugierten Variablen“, also physikalische Größen, die paarweise miteinander verbunden sind. Konkret gibt es im lagrangeschen Zugang zur Mechanik die Erkenntnis, dass der Impuls die konjugierte Variable zu der Position (zum Raum) bzw. die Energie die konjugierte Variable zu der Zeit ist. Die Verbindung Impuls/Raum und Energie/Zeit ist also schon mit dem Lagrange-Formalismus der Mechanik zu erahnen.

Den Begriff der „Symmetrie“ eines physikalischen Systems muss man zuerst konkretisieren, denn umgangssprachlich wird darunter normalerweise etwas anderes verstanden. Hierbei ist die Rede von einer „kontinuierlichen Symmetrie“ eines physikalischen Systems, falls eine bestimmte physikalische Größe (die sogenannte „Wirkung“) sich bei einer Transformation der physikalischen Größen, die das System beschreiben, nicht ändert. Die kontinuierliche Transformation des Systems lässt also den physikalischen Zustand des Systems unverändert. Etwas weniger abstrakt, am konkreten Beispiel der Zeit als Symmetrieeigenschaft: Die „Zeit“ hat die symmetrische Eigenschaft, dass sie „homogen“ ist. Die Zeit vergeht immer auf dieselbe Art und Weise (dies ist eine Annahme, die unter „Homogenität der Zeit“ oder auch „Zeitinvarianz“ bekannt ist). Als Konsequenz (!) der Zeitinvarianz ergibt sich, unter Zuhilfenahme des Noether-Theorems, dass die dabei erhaltene physikalische Größe die Energie ist.

Noch eine annehmbare Eigenschaft ist die „Homogenität des Raumes“. Jeder Punkt im Raum ist sozusagen gleichermaßen berechtigt; der räumliche Urspungspunkt eines Koordinatensystems, um die Physik eines Systems zu beschreiben, hat keinen Einfluss auf die eigentliche Physik des Systems. Die Homogenität des Raumes kann auch als kontinuierliche Symmetrie der Wirkung eines physikalischen Systems mathematisch formuliert werden, und daraus kann wiederum eine neue Erhaltungsgröße hergeleitet werden. Die dabei auftretende Erhaltungsgröße ist der Impuls. Mit anderen Worten: Der Impuls eines geschlossenen Systems bleibt erhalten aufgrund der Homogenität des Raumes.

Der dritte Erhaltungssatz in der klassischen Physik, die Erhaltung des Drehimpulses, ist auch die mathematische Konsequenz einer Symmetrieeigenschaft des Universums. Dabei geht es um die „Isotropie des Raumes“. Die Physik eines in sich geschlossenen Systems ist nicht von dessen Orientierung im Raum abhängig. Jede Richtung im Raum ist also wiederum sozusagen gleichermaßen gültig, um die Physik eines Systems zu beschreiben. Mathematisch ergibt sich als Konsequenz dieser Symmetrie die Erhaltung des Drehimpulses.

Das Noether-Theorem ist also die mathematische Fassung der Aussage „die Symmetrie eines Systems hat eine Erhaltungsgröße als Konsequenz“. Dabei handelt es sich nicht nur um eine qualitative Aussage, sondern kann aus einer annehmbaren (postulierten) Symmetrieeigenschaft die daraus entsprechende Erhaltungsgröße mathematisch berechnet werden. Das Erstaunliche daran ist, dass erst um 1918 wirklich erklärt wurde, warum es eigentlich die drei bekannten Erhaltungssätze der klassischen Physik gibt. Erstaunlich ist eigentlich auch, dass die Frage nach dem „Warum“ überhaupt gerechtfertigt ist. Die Erhaltungssätze der Physik sind also nicht nur empirisch nachweisbare Tatsachen, sondern auch Ausdruck der Eigenschaften der Welt.

Dieser Beitrag ist wirklich sehr abstrakt und keine leichte Kost für den Leser. Trotzdem ist es ein Thema, dass mich im Physikstudium wirklich überrascht hat und ich immer noch von ganz besonderer Art finde. Falls ich dieses Gefühl der Besonderheit erfolgreich vermittelt haben sollte, hat sich für mich der Beitrag schon gelohnt. Die nächsten Texte werden etwas konkreter, versprochen.

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