Mein Urgroßonkel Hyazinth: der schizophrener Künstler (Teil 2 - über seinen Zustand)
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by Ollie Evans
Teil 2 - Sein Zustand
Es gibt einen Mangel an Informationen und Berichten über Hyazinths Leben.
Abgesehen von den Bildern, Zeichnungen, Notizbüchern und ein paar Briefen an seine Familie, die bei der Hans Prinzhorn Sammlung in Heidelberg gehalten werden, wir können meistens auf den Bericht von Prinzhorn verlassen, wenn wir die Einzelheiten Hyazinths Lebens herausfinden wollen. Ich habe jedoch im Dezember 2018 die Sammlung in Heidelberg besucht, um sein Archiv zu sehen. (Das war einer der Gründe, warum ich endlich die Sprache meiner Mutter zu lernen angefangen habe). Ich beschäftige mich immer noch mit seinen Notizbücher, die meistens sich sein philosophischen System, 'Die Willologie der Sonne', behandelt. Obwohl unter einem Anteil von Einträge in Kurzschrift, den noch nicht entschlüsselt wurden, es gibt auch gelegentliche Augenblicke, die sein tägliches Leben enthüllen und einige von Prinzhorns Bericht bestätigt.
Laut Prinzhorn hatte Hyazinth vor seiner Ankunft in der Anstalt halluziniert, 'redete wirr [...] hypochondrische Angstzustände, Vergiftungsfurcht und plötzliche Erregungsanfälle.' (Prinzhorn: 1922, 249) Seine vorgenannte Hypochondrie, kann man vielleicht aus einigen Einträge über sein Erlebnis seiner Krankheit bestätigen. Er führte ein Protokoll über seine Schlaflosigkeit und verschiedene Beschwerden und es gibt auch ein paar Augenblicke, die auf ein Art von gelegentlicher Klarheit über seinen Zustand hinweist. Er schrieb manchmal Anmerkungen über seine Halluzinationen, die die Gestalt von Stimmen annahm und beschrieb sie als eine 'Innere Stimme', die 'wie ein telefonischer Anruf' auftrat. (Heidelberg, 2432/7 fol.2r) Diese Stimmen waren 'hauptsächlich Verwandte' aber auch 'verstorbene' und 'nie gekannte' Personen, die 'gewöhnlich zu einer laufenden Tätigkeit [rieten]'. Sie waren angeblich 'fast immer günstig.' Es scheint also, dass er das Glück hatte, wohlwollende akustische Halluzinationen zu begegnen, im Gegensatz zu vielen anderen Schizophrenen, die erschreckende und bedrohliche Stimmen hören.
In der Anstalt fühlte er 'einen heftigen Drang zu stereotypen Bewegungen und Haltungen, die er rücksichtslos durchführte, besonders Purzelbäume,' laut Hans Prinzhorn. (Prinzhorn: 1922, 249) Ich habe Beweis dafür in einem seiner Notizbücher gefunden, worin er sich eine Behandlung 'gegen Aeroplankrankheit der Nerven' verschrieb, mit '1 Purzelbaum nach Osten auf blauem Sofa.' (Heidelberg, 2432/9 fol.1v) Es gibt auch eine deutliche Besessenheit mit regelmäßigen Bewegungen. Er hatte eine bestimmte Routine notiert, die Anweisungen wie 'Kleine Fingerübung gut für Verdauungsausnützung' oder 'Anziehen: erst rechts, dann links' enthaltet. (Heidelberg 2432/6 fol.2r) Diese 'magischen Bewegungen' waren eine Methode gegen eine 'gestörte Polarisation in seinem Organismus'; ein Mittel von Korrektur, die er glaubte, seine feste Verbindung zur Natur und dem Kosmos aufführte. (Prinzhorn: 1922, 249) Es gibt ein trauriges und auffälliges Bild von dieser Überzeugung Hyazinths, als Prinzhorn ihn als 'stundenlang am offenen Fenster' stehend beschrieb, 'hält einen Löffel in der Hand und starrt zum Himmel hinauf: "ich werde die Stellung der Sterne verändern durch meinen Willen".' (Ibid.)
Seine verschrobenen Bewegungen waren auch ein Mittel von Verbindung mit seiner Familie und Geliebte. Laut Prinzhorn müssten 'die Purzelbäume nach Orten orientiert sein, die augenblicklich Bedeutung für sein Dasein haben: so schlägt er sie in der Richtung auf Schweinfurt, weil dort eben seine Geliebte sich aufhält.' (Ibid.) Und ich habe in seinem 'Normaltagesplan' bemerket, dass ein Teil seiner Einschlafroutine die Notiz 'Beineschwingen (Kurt)' einhält. (Kurt war sein Bruder (mein Urgroßvater), den ich in meiner letzten Journaly Eintrag erwähnt habe)
Diese Tätigkeiten haben sicher bis 1912 oder 1913 stattgefunden, weil das Material im Archiv nur bis diesen Jahren erreicht. Dieser Art von Schizophrenie-Symptomen kann man als 'positive Symptome' benennen, nicht weil sie 'gut' sind, sondern weil der Leidende produktiv auf ihren Zustand reagiert kann. In dieser Zeit könnte Hyazinth verschiedene Tätigkeit wie diese 'magische Bewegungen', sein verschrobene philosophische System und seine Kunst nützen, um sich seine Krankheit zu behandeln zu versuchen. Aber es scheint so, dass er allmählich mehr 'negative' Symptome entwickelte, und ist schließlich in einen Zustand der Katatonie angekommen. Laut Prinzhorn:
'Schließlich spricht er überhaupt kaum mehr, sondern ist scheinbar ständig mit seinen Halluzinationen beschäftigt. Einmal begründet er sein Schweigen ausdrücklich damit: er stehe ja mit der ganzen Welt in Verbindung durch Telepathie, deshalb sei alles Sprechen überflüssig.' (Prinzhorn: 1922, 250)
Ich habe kürzlich mit der Hilfe von meiner Familie herausgefunden, dass Hyazinth bis 1927 lebte, und anTuberkulose in der Anstalt Ybbs (in der Nähe von Wien) starb. Das Wiener Stadtarchiv hat nur als sein Todesprotokoll, weshalb wir nur die Hans Prinzhorn Sammlung für Beweis von seinem Leben und Zustand haben.
Also: ohne Arztberichte, Notizbücher oder Kunstwerke wären die Jahren zwischen 1913 und 1927 ein blasses Schweigen geblieben.
[Im nächsten Teil werde ich euch über die Kunst des Hyazinths erzählen. Vielen Dank an Sabine Holz und die Hans Prinzhorn Sammlung und auch Sophie und Melanie, die mir mit meiner Erforschung geholfen haben.]
Die Geschichte deines Urgroßonkels ist sehr verrückt. Ich frage mich, wie sein Leben verlaufen wäre, wenn er in einer heutigen Klinik in Behandlung gewesen wäre. Zwar verstehen wir psychische Erkrankungen noch immer nicht richtig, aber ich glaube, dass man ihm besser hätte helfen können.
Danke Linda! Ich stimme zu. Ich denke obwohl, dass seine Behandlung schlimmer wäre gewesen, wenn er nicht einer reichen Familie gehört hätte. Es ist auch möglich, dass ihn getötet wäre, wenn er in die Kriegszeit überlebt hätte.