In der Fernsehsendung „Länderspiegel“ letzte Woche sah ich einige kurze Gespräche mit jungen Menschen, die mit Freunden in einem Park in Frankfurt a.M. zusammensaßen und das sonnige und warme Frühlingswetter genossen. Das Gelände in der Mitte der Großstadt war voll von jungen Menschen—meistens zwischen 17 und 30 Jahren alt, schätzte ich—, die Bier tranken, miteinander quatschten oder Sport trieben. Keiner trug eine Maske! Wenige hielten Abstand voneinander.
Eine junge Frau, die offen und freundlich wirkte, sprach über ihr Bedürfnis (nicht ihren Wunsch oder ihre Präferenz), sich mit anderen jungen Menschen zu treffen, Partys zu machen, gesehen zu werden und die Anwesenheit von anderen (in großen Gruppen) zu erleben. Wenn sie solche Erlebnisse nicht hätte, würde sie sich fühlen, als ob das Leben an ihr vorbeigeflossen wäre. Für sie—und ich glaube, dass sie für viele andere der Anwesenden sprach—schien diese Haltung ganz selbstverständlich zu sein. Sie meinte, sie bräuchte keine Rechtfertigung oder Bitte um Verzeihung anzubieten. Ihren legeren Kommentar zu der Szene könnte man so zusammenfassen: „Die Welt (von jungen Menschen) ist halt so! Komm drüber hinweg!“
Ich gestehe, dass diese Szene und die Aussagen der jungen Menschen mich ein bisschen erschütterten und ärgerten. (Ich habe dieselbe Reaktion, wenn ich junge Amerikaner bei Spring Break in Florida sehe.) Meine erste Reaktion ist immer— „Mein Gott, habt ihr von der weltweiten Covid-Pandemie gehört?! Hallo!!! Wie könnt ihr so asozial agieren, so verdammt selbstbezogen und kurzsichtig, dass ihr die Gesundheit und vielleicht das Leben von anderen so bedenkenlos aufs Spiel setzt? Glaubt ihr wirklich, dass große Versammlungen inklusive sozialem Verkehr miteinander ohne Abstand absolut unverzichtbar sind und dass etwas total Wesentliches verpasst wäre, wenn ihr sowas für ein paar mehr Monate nicht machen könnt? Im Ernst?!“
Ein bisschen später, nachdem ich mich abgekühlte, überdachte ich meine starke Reaktion. Zwei Faktoren fallen mir ein. Erstens erkenne ich, dass ich älter als diese jungen Menschen bin und dass Entwicklungsstadien unsere Gesichtspunkte prägen. Andere leibhaftig zu sehen und gesehen zu werden ist im Schnitt wichtiger für junge Menschen als für die Hochbetagten. Das hat teilweise mit Identitätsbildung zu tun. „Wer bin ich?“, und „Wo passe ich hinein?“ entdeckt man allmählich durch solche sozialen Kontakte. (Schade, dass es etwas wie ein elektronisches soziales Netzwerk nicht gibt, wo sich Menschen—sogar jüngere Menschen-- miteinander austauschen könnten. Sicher wäre so etwas sehr populär.) Und jüngere Menschen gehen Risiken leichter als ältere Menschen ein. Vielen von ihnen glauben heutzutage nicht an die Unsterblichkeit der Seele, aber sie verhalten sich, als ob sie persönlich unsterblich sind. Also, ich bin älter und mehr auf Vergänglichkeit fokussiert, und ich verstehe, dass der typische 21-Jährige andere Hauptbeschäftigungen hat. Trotzdem erwarte ich—sogar von einem jungen Menschen—noch ein bisschen mehr Gemeinschaftsgefühl und soziale Solidarität. Bitte!
Das war flüssig geschrieben und gut zu lesen. Mir geht es ähnlich wie dir. Manche Verhaltensweisen empfinde ich als nicht klug und nicht sozial. Ich muss aber, genau wie du, zugeben, dass die Einschränkungen eben nicht jeden gleich stark treffen und deshalb für manche Menschen schwerer zu ertragen sind als für andere. Hoffen wir, dass es dieses Jahr langsam wieder normal (oder zumindest normaler) wird.
Vielen Dank, CloudyDe!